Beschreibung

Bei dem Werk »Der Kuß« handelt es sich ursprünglich um ein Terrakotta-Relief, das später in Bronze gegossen wird. Angeregt durch das Märchen »Vom Fischer und seiner Frau« entwickelt Günter Grass bei der Arbeit am Roman Der Butt (1977) das Motiv »Ilsebill küsst den Fisch«, das er unter wechselnden Bildtiteln mehrfach in Radierungen realisiert. Die Umsetzung des Motivs ins Relief erlaubt im Gegensatz zur Grafik neue Oberflächeneffekte, die etwa durch Schattenwürfe erzielt werden. So kommt es zur Kontrastierung der Texturen und Strukturen wie auch zur Anverwandlung der Formen: Die von gebuckelten Schuppen und feinen Furchen durchzogene Oberfläche des aufgedunsenen Fischkopfs hebt sich von der glatten Haut der jungen Frau ab.

Der Butt und die junge Frau setzen gerade zum Kuss an, sodass sich ihre Gesichtskonturen eng aneinanderschmiegen und miteinander zu verschmelzen scheinen. Besonders in der Radierung »Kuß II« (1975), die das Motiv vorwegnimmt, wird diese Annäherung der Formen noch deutlicher: Die junge Frau nimmt im Augenblick des Kusses die kalten, fast schon brutalen Züge des Fisches an und ihre Augen verwandeln sich in dessen runde Glubschaugen.

Mit der Umsetzung des Motivs als Relief knüpft Grass an eine Szene aus seinem 16 Jahre zuvor veröffentlichten Roman an, ohne diesen jedoch illustrieren zu wollen. Hier ist es die junge Dorothea, die den sprechenden Butt herbeiruft: »Und so ging auch Dorothea zum Butt. All ihre Schönheit und ungekränkte Jugend hatte sie mitgenommen ... Ich hatte ihr vorsorglich gesagt: ›Bis zu den Knien mußt du rein in die See und ihn dann rufen, mehrmals, und von mir grüßen. Dann kommt er und wird dir, wenn du ihn küßt, vielleicht was sagen. Wünsch dir was, wünsch dir was!‹ … Als Dorothea zurückkam, sah ich, daß sich ihr Mund verzogen hatte und schräg zu ihrer Augenachse stand. Seitdem trug sie einen höhnischen Ausdruck vor sich her, der ihre Schönheit steigerte...«

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