Diana oder die Gegenstände
Günter Grass
Beschreibung
In groben Zügen hat Günter Grass Diana, die römische Göttin der Jagd, in dieser Kohlezeichnung festgehalten. Ihr gestauchter Körper nimmt über die Hälfte des querformatigen Blattes ein. Sie ist in leichter Schrittstellung nahezu frontal ausgerichtet. Die rechte Hand greift nach hinten in den Köcher mit den Pfeilen. In der linken Hand hält sie einen verhältnismäßig kleinen Bogen. Unter dem mit kräftigen Schraffuren versehenen, knielangen Chiton zeichnen sich ihre Körperformen ab. In ihrer monumentalen Körperlichkeit erinnert sie an die kompakten und stämmigen Frauengestalten Pablo Picassos aus seiner neoklassizistischen Phase. Bereits als Jugendlicher dürfte Grass die Werke des Katalanen kennengelernt haben. Grass' Kunstlehrerin Lilly Kröhnert hat ihn mit der von den Nationalsozialisten als »entartet« diffamierten Kunst der Klassischen Moderne vertraut gemacht. 1956 besucht er in Hamburg die deutschlandweit erste Picasso-Ausstellung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Es handelt sich bei der Zeichnung um einen Entwurf, den Grass später in seinem Gedichtband Gleisdreieck (1960) veröffentlicht. In dem begleitenden Gedicht »Diana – Oder die Gegenstände« kommt seine ästhetische Haltung als Künstler und Schriftsteller zum Ausdruck. Das lyrische Ich erkennt, dass ihm künstlerische Eingebung nur angesichts der »Gegenstände der Natur« widerfährt. Eine »schattenlose Idee« lässt ihn jedoch kalt. Die antike Göttin Diana, deren Name sich aus dem lateinischen Wort dius (für »himmlisch« oder »göttlich«) ableitet, steht als Sinnbild für Inspiration, die das lyrische Ich angesichts der Dinge der Wirklichkeit überkommt.
Grass greift in dem Werk eine Debatte auf, die in den 1950er Jahren in der Kunstszene großes Aufsehen erregt. Darin geht es um die Frage, ob Künstler gegenständliche oder abstrakte Werke schaffen sollen. Grass bekennt sich in dem Gedicht und in Verbindung mit der figürlichen Darstellung klar zur Gegenständlichkeit. Schließlich sind es häufig alltägliche Objekte und die sinnlich erfahrene Wirklichkeit, die er in seinem Schaffen thematisiert. Als bildender Künstler wird er durch diese Entscheidung zum Außenseiter, da ab Mitte der 1950er in der Bundesrepublik in Abgrenzung zum Sozialistischen Realismus des Ostblocks die Freiheit der Abstraktion von namhaften Kunstkritikern wie Will Grohmann gefordert wird.
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