Beschreibung

»K, der Käfer liegt auf dem Rücken«, so lautet die erste Zeile des Gedichts »K, der Käfer« in Günter Grass' Lyrikband Die Vorzüge der Windhühner (1956). Wie ein Refrain wird sie von Strophe zu Strophe wiederholt. Sie verleiht dem Gedicht einen stakkatoartigen Rhythmus. Der Text ist eine Hommage an Franz Kafka, der mit seinen albtraumhaften und labyrinthischen Erzählungen die moderne Literatur maßgeblich geprägt hat. Das Gedicht wird von einer zarten Federzeichnung begleitet. Sie zeigt den Käfer K vor dem ebenfalls auf dem Rücken liegenden Buchstaben K. In formaler Hinsicht finden sich in Grass' Federzeichnung Einflüsse des Kubismus wieder, der von Pablo Picasso und Georges Braque Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Die Konturen des Insekts sind stark fragmentiert, sodass der Eindruck entsteht, als würde man durch ein Kaleidoskop blicken, das die Formen des Käfers in unterschiedliche Perspektiven aufsplittert. 

In Anknüpfung an diese bildkünstlerische Gestaltungsweise wird der Käfer im Gedicht in Verbindungen mit immer neuen Beobachtungen beschrieben: Von Zeile zu Zeile entstehen wechselnde literarische Bilder, die sich scheinbar ohne Zusammenhang aneinanderreihen. Die Kombination zeichenhafter Elemente, die aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und neu zusammengefügt werden, ist ebenso für einige Zeichnungen des Gedichtbandes kennzeichnend wie »Frauenakt mit Mücke«, »Unfall« oder »Schule der Tenöre«. Es handelt sich dabei um ein künstlerisches Verfahren, das Grass vom Surrealismus und Dadaismus übernommen hat. Seine Arbeiten sind durch ihre Zeichenhaftigkeit und Abstraktion der Wirklichkeit zudem typisch für die Kunst der ersten Jahre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit knüpfen viele Künstler:innen wieder an die Gestaltungsmittel der Klassischen Moderne an, die während der nationalsozialistischen Herrschaft unterdrückt wurde. In Westdeutschland werden die abstrakten Tendenzen jedoch bald bis zur völligen Loslösung von der Gegenständlichkeit vorangetrieben wie in der informellen Malerei oder Konzeptkunst. Dieser Entwicklung möchte Grass ab den 1960er Jahren nicht folgen.