Kuss (Das Paar)
Günter Grass
Beschreibung
»Von der papierenen Ausbeute meiner Frankreichreise hat sich neben dem Skizzenbuch, ein Stoß Zeichnungen im mittleren Format erhalten: Blätter, auf denen mit Möwenfedern und Bambusrohr ein konturierender, kaum abbrechender Strich die Köpfe von Frauen und Männern festhält, die mir unterwegs, in Cafés, auf Parkbänken, in der Metro und in wechselnden Schlafquartieren eine Skizze lang nah waren.«
So beschreibt Günter Grass die bildkünstlerischen Früchte seiner Frankreichreise im Sommer 1952. In Auseinandersetzung mit der französischen Moderne sind Arbeiten entstanden, die seinen Äußerungen nach von Raoul Dufy, Chaim Soutine und nicht zuletzt von Pablo Picasso geprägt sind. Somit auch diese Tuschezeichnung eines sich küssenden, nackten Paars, das ein dichtes Liniennetz umgibt. Ob sich die Liebenden im Bett oder in der freien Natur befinden, wird nicht deutlich. Das Blatt ist Teil einer Serie ähnlicher Figurendarstellungen, die von den Zeichnungen des Katalanen beeinflusst sind. So entwirft Picasso mit einer einzigen, nicht abreißenden Linie ganze Szenen wie Zirkusaufführungen, Tier- oder Figurendarstellungen. Grass, den das Verfahren zu eigenen Formexperimenten inspiriert, setzt hingegen mehrmals an und füllt das gesamte Blatt mit der filigranen Zeichnung aus. Dabei beobachtet er jedes noch so kleine Detail – selbst in den Gesichtern werden die Konturen der Nasenflügel und -löcher, die feinen Härchen an den Schläfen sowie das Linienspiel der Augenfältchen erfasst. Er verfremdet dadurch die Figuren, sodass sie wie ornamentale Strukturen und weniger wie Menschen aus Fleisch und Blut erscheinen.
Audio
Ihr Browser ist veraltet und eine Audiowiedergabe ist leider nicht möglich.